gir
stF.
auch gier.
bezeichnet allg. einen inneren Antrieb ‘Bedürfnis, Verlangen, Begierde’ (vgl.
begir
,
begirde
,
gër
,
girde
); in den meisten Verwendungen kaum von
gër stF. zu unterscheiden.
– bezogen auf natürliche Bedürfnisse und Impulse:
nu begunde hungerlichiu gir / Rennewarten wisen da daz brot /
lag Rennew
10730;
wer des [Sees] trinkt, der wirt
enzünt mit der prunst der unkäuschen gir BdN
483,16.
422,20
u.ö.;
daz selbe süeze kint truoc ir / als süezelîche kindes gir, /
als ein kint sîner muoter sol Tr
1938;
durch iwer zuht lât zornes gir Parz
89,12;
bei Wolfram in der Wendung die ~ verhaben für den Jagdinstinkt
des Falken, der durch die Kappe unterbunden wird (meist übertr.):
der dem grimmen vederspil die gir / verhabt Wh
317,6.
317,9;
ein wîp mac wol erlouben mir, / daz ich ir neme mit triuwe war.
/ ich ger – mir wart ouch nie diu gir / verhabet –, mîn ougen swingen
dar MF:Wolfr
3: 1,3;
Parz
420,24.
– negativ gewertet ‘Gier, Begierde’
den wil Satanas [...]cheren uon der guͦte mit
der ubirmuͦte, / etlichen mit der kîre, etlichen mit nide GenM
17,29;
Gen
551;
swaz man in der welte siht, / des gert diu vleischlîche gir.
/ der ougen wünne lît an ir RvEBarl
4447;
wertlich [l. werltlich
]
gir und unrain geluͤst PrOberalt
5,22;
diu gir nâch grôzem guote vil bœsez ende gît
NibB
1554,2.
– bezogen auf ein Streben, Wünschen oder eine Sehnsucht, meist in positiver
Wertung (oft herzen gir):
sîn gir stuont nâch minne / unt nâch prîss gewinne
Parz
736,1;
die helde treip der grimme zorn / zem strîte und mänlîchiu
gier Wig
10943;
der [der Hl. Geist] ist dir bî nâch
dîner gir, / ob dû mit guotem herzen in / laden wilt in dînen sin
RvEBarl
6832;
oft das höfische Minnebegehren:
och sagt uns d’âventiur von ir, / si wære ein reizel
minnen gir Parz
508,28;
mîn hôhe minne gernde gir / daz herze mîn unsanfte treit
KLD:UvL
9: 3,3;
friuntlich umbevang / [...] / möcht
der werden mir, / tougen nâch mîns herzen gir, / trûren mich verbære SM:
Ro
7: 3,5;
‘Absicht, Trachten, Wille’
rotes goldes hundert pfund [als
Belohnung] . / die gib ich dir all hie zu stund / williclich mit
guter gyer HvNstAp
945;
an uns wirt niemer vollebrâht / iuwer unrehtiu gir
RvEBarl
7873.
– selten bezogen auf einen geäußerten Wunsch ‘Bitte, Forderung’
dîn wille ervüllet werde an uns nâch dîner gir / hie als in
himelrîche durch dîn êre KLD:Kzl
18: 0,5;
mit willen ich gehôrsam bin / dîner lêre und dîner gir
RvEBarl
6109.
gîr
stM.
(sw.
Boner
7,21
).
‘Geier’
etleich sprechent, daz uns mangeu tier übertreffen an den
fünf sinnen: [...], der geir mit dem smack (wan der smeckt
daz âs gar verr) BdN
118,17;
er [
Jeronimus
] des jach,
sô manich ercenîe wær an dem gîr, same manich lit er hât Barth
154,27
u.ö.;
valsch geziugen stalt er dar, / die des schâfes vîgent wân: / (swie sölt daz
recht dâ für gân!) / ein wolf, ein gîrn, ein wîgen Boner
7,21;
Gen
1551;
Parz
387,26;
KvWLd
32,297;
vultur: gúre, avis VocClos
Vu23.
– auch als Bestandteil von Personennamen:
Oͤrtolf der Geyer UrkCorp (WMU)
747,31
giraffe
swF.
‘Giraffe’ (vgl. auch schraffe swM.):
do sint ouch vil giraffin di sint gar schone an czu seen, si han lange helse
und di vordirstin beyn lenger wen dy hindirstin MarcoPolo
70,16.
72,6
gîralt
stM.
‘Spielmann, Gaukler’
der was eyn groes gebrechte / der gyralde ind varender luden Karlmeinet
296,4;
da deͥ meystere deynint [den (pflichtmäßigen) Amtsschmaus
geben (vgl. Schiller-Lübben 1,503)] , da in solin ingeyne gyralde
syn, nog man nog wif, dan veyre UrkKölnAmtl
59
(a. 1320);
gyralde, de spelude heysent ebd.
116
(um 1320?)
girære
stM.
‘Habsüchtiger’
wie mach ein unreiner unkuschere. gyrere. wuͦchere. diep.
ruͦbere. trenkere. luͦgenere. meineidere. mordere. verretere. der
selden oder nimmer niht guͦtes tuͦt. wie mach der arme suͦndere
gesprechen daz er guͦten willen habe. der mit susgetaner bosheit uͦbet
bose werk? PrLpz (L)
53,40;
Mechth
5: 23,131;
wi ouch ste der selbe lebn, / is sy heilic unde gut / und vor wandel wol
behut, / nicht si besiczen guten tac, / vuln si nicht der gyrer sac TvKulm
3774.
–
alsolche girêre [die ihr Herz ganz mit Gott füllen
wollen] , / die sint gote vil mêre, / sie gebent der werlde guoten
kouf / unt sament tugende grôzen houf EbvErf
4609
girbe
F.
‘Winde, Haspel’
gyrgillus: girbe Gl
4:186,63
(BStK938)
girde
stF.
auch gërde (z.B.
LivlChr
36;
Daniel
5898
).
bezeichnet allg. einen inneren Antrieb ‘Bedürfnis, Verlangen, Begierde’ (vgl.
begir
,
begirde
,
gër
, gir); Schwerpunkt in geistlichen
Texten, in höfischen Texten selten und spät.
– bezogen auf natürliche Bedürfnisse:
swenne si des ersten swanger werden so sal man bewarn
[verhindern] , daz in imant vornenne di spise, der man
zu der cit nicht gewinnen mac. wan si gewinnen groze girde nach der spise
SalArz
65,26;
den vogeln gab er spise, / den dar nach stunde ir girde
Minneb
5201.
– negativ gewertet ‘Gier, Begierde’
die enphliehent des tîefales chelen nieht. die der nach
werltlichen girden lebent JPhys
15,10;
der oren habe, der hore daz / und laze manslacht, roub,
girde, haz HeslApk
4282;
also schuln wir tvͦn, so uns div girde rihtvͦmes
begrîffi Spec
9,12;
VMos
72,27;
owê, daz iemer wîb ir êr engentzet / dur valscher minne girde
SM:Tu
1: 2,6.
– in neutraler oder positiver Wertung bezogen auf ein Streben oder eine
Sehnsucht (oft herzen girde):
unsern muͤt und alle unser girde, / die waize
er [Gott] baz denn wir StrKD
12,245;
er git reinez gemute, / todes vorhte, gotes minne, / rehtes
girde, rehte sinne Wernh
D 2758;
si beide sich dâ flizzen / ûf ritterlîche wirde: / mit edels
herzen girde / zesamne si gesprancten KvWTurn
198;
dû solt nâch dîner girde / dâ vinden ein erwünschet leben
KvWTroj
18910;
ez ist mins herzen girde / daz ez [meine
Taufe] geshehe in kurtzer vrist Rennew
2212;
so wizze, bruͦder Rennewart, / daz ich muͦz
des todes vart / durch ir minne girde varn ebd.
24865;
zarter herre mine, [...], min herz
soͤlte dich han gemeinet mit gantzer girde Seuse
298,15.
– bezogen auf einen geäußerten Wunsch ‘Bitte, Aufforderung’
dâ von sô wil ich unde sol, / swie leide mir dar an
geschiht, / erfüllen iuwer zuoversiht / und iuwer girde nû zehant
KvWTroj
22849;
nach diner
gerde [:werde
] / wizze, daz daz vierde wilt
/ ist des vierden riches schilt Daniel
5898
girdelich
Adj.
‘wünschenswert, begehrenswert’
unde fur nihte heten si erde die girdlichen [interl. zu
terram desiderabilem
]
PsWindb
105,24;
dei urteile des herren wariu rehthaftigitiu an sih selbiu. girdlichiu
[interl. zu desiderabilia
] uber golt unde
stein den tiuren ebd.
18,11
u.ö.
girden
swV.
auch gerden.
‘begierig sein, verlangen’
sehent, wie sin hant vnd sin fúsz / nach mordes werck girdet
Krone
24537;
min herze nach siner truͥwe girdet
TürlArabel
*A 210,6;
die miner herbergen gerden, / vil selden ich di werthe
SüklU
57;
UvZLanz
2859.
– subst.:
zuosamen was ir [der Ritter] gerden. diu swert sie
geviengen Wigam (B)
609
girdic
Adj.
‘verlangend, (be-)gierig’
sein edel hertze wirdich / tzu gueten sachen girdich / was Suchenw
13,164;
swie daz ich nu leider sî / der êren gar unwirdic, / sô muoz mîn herze girdic
/ doch sîn nâ hôhen dingen Reinfr
3234;
swâ sin nâ hôher minne / ist mit luste girdic, / ist dâ daz herze wirdic / sô
lobelîcher minne, / diu minne tuot dem sinne / mit gedenken dicke wol ebd.
1115.
–
man solte dich in eine gruobe / nu lange han versenket /
[...] / wan du bist gar girdig / so lesterlicher fuore
MinneR 418 (M)
126
girdiclich
Adj., Adv.
adv. auch -lîchen.
‘gierig, begehrend’
er [der Falke] stiez / ûf des rehten beizes spor, /
als er dicke hât dâ vor / getân mit willeclîcher ger, / sô koment girdeclîchen her /
in snellen fluken schier gevarn / zwên ungefüege grôze arn / und wolten ûf in ziehen
Reinfr
13566;
swenn sich der troun volendet, / sô wart diu schœn gephendet /
girdeclîcher küsse ebd.
1651;
ir [Marias] lob ist so ahtich, /
ir gnade also mahtich / daz sie girdekliche ansehent / die engel vnd ir iehent /
iemer ze keiserinne Wernh
D 2617
girdisch
Adj.
→
girisch
gîre
→
gir
Adj.
girel
Subst.
→
gires
gires
Subst.
auch giritse, girst, gers und gersch;
bei Lexer irrtümlich als girel angesetzt (vgl. DWB 4,1,4,7385; Marzell
4,348).
überw. als Glosse für verschiedene lat. Pflanzenbezeichungen (vgl.
Etymol.Wb.d.Ahd. 4,370-372 u. 178f.):
macedonicvm: gîres Gl
3:481,45
(BStK945);
de ostricio: gerese vel ostriz ebd.
3:593,59
(BStK784);
ostricium: giritse vel ostriz ebd.
3:598,26
(BStK431);
astricia: girst ebd.
4:362,7
(BStK24);
aristolotia: gers ebd.
3:522,2
(BStK261);
aristologia longa: gers ebd.
3:547,30
(BStK455);
olisatrum heizet gersch. des same mit wine genutcet heilet,
da der tarant gestichet [...] hat Macer
96,1
girgele
swF.
obwohl lat. ocimus
‘Basilikum’ bedeutet, ist hier wohl die ‘Pastinake’ gemeint (vgl. Marzell
3,367 und →
gerhilla
):
ocimus herba: girgila SummHeinr
2:393,02.2;
ocimum: girgel Gl
3:562,56
(BStK285);
ocimus heizet girgele Macer
95,1;
swelchez tagez man di gyrgeln gesse ebd.
95,4;
wizzet, daz di girgele dem magen gesunt ist ebd.
95,5
girguot
stN.
übers. lat. mammona, abwertend für ‘Reichtum’
ir muͦget gote niht gedienen und dem girgûte EvBeh
Mt 6,24;
wan wer getrûwe ist in dem minsten, der ist ouch in dem grôzsten
getruͦwe; und wer in dem cleinen ungetrûwe ist, der ist ouch in dem grôzten
ungetruͦwe. und darumme ob ir nicht in dem unrechten girgûte getrûwe sît
gewesit: waz ûwir ist, wer gloubit ûch des? ebd.
Lc 16,11.
Lc 16,9
girhaft
Adj.
‘begehrend, verlangend’
ich bin des offenlichen wer / daz er gehœret nimmer mê / kein mære dâ
von er bestê / ze triuwen alsô girhaft [nie eine Geschichte gehört hat,
aufgrund derer er so begierig nach Treue zurückbliebe]
KvWEngelh
201
girheit
stF.
‘Verlangen’
– in positiver Wertung ‘Begehren, Streben’
ie gottes lob mer gebreitet wirt, ie ir girheit
groͤsser blibet Mechth
1: 22,34;
und beginnet [die Seele] denne ze
gerende mit des aren girheit, so volget si der hitze uf ze himmele, wan es dunket si
alles kalt und ungesalzen, das zergenglich is ebd.
5: 31,10.
– in negativer Wertung ‘Begierde, Habgier, Geiz’
daz nemen wir selben âne strît / und ân aller slahte nît, / daz ist âne
girheit LBarl
6793;
van dir sint verre haz ind girheit, / diͤ machent
sündich sunderlicheit MarlbRh
68,33;
irdensche girheit verdilgget an úns das helige gottes
wort Mechth
3: 7,3;
ist her uf der girheit straze, / her sehe an Marien di maze
Brun
5563;
bewarit uch vor allir gyerheit, wen keyn genugunge ist an dem
menschen an dem daz her besyczit EvBerl
110,30
giric
Adj.
1
‘(nach etw.) verlangend, strebend; gierig, habsüchtig’ (das semantische
Spektrum ist
gir und
girde
vergleichbar) 1.1 attr. 1.2 präd. (zu sîn , wërden ,
machen ) 1.3 subst. 2
‘Begehren, Gier hervorrufend’
1
‘(nach etw.) verlangend, strebend; gierig, habsüchtig’ (das semantische
Spektrum ist →
gir und →
girde
vergleichbar):
1.1
attr.:
die kurtzen hant die hochvart, / die langen hant den
girigen art Physiogn
220;
die gedanke mîn si lucket, die fliegènt zuo zir geschart. /
manic giric sin der flucket / nâch ir ûf die jagevart KLD:BvH
3: 4,3;
ich hab anders nit gesehen / von ym [dem gut abgerichteten
Falken] dann snellen, gyrigen stoz, / wenn ich ym fuͤr
daz luder schoz MinneR 503
191.
–
girige lûte, di widersprechen daz ermute unsis herren
HvFritzlHl
81,28;
der predier orden wart sere angevohten von valschen
meistern, dar zuͦ von manigem girigem súnder
Mechth
4: 27,4
1.2
präd. (zu sîn, wërden,
machen):
– mit Dat.d.P.:
ezzen ist in [den Gänsen]
lustig und ruoen und slâfen ist in girich BdN
169,12.
– mit Gen.d.S./d.P.:
síu máchet ín
contemptorem [zu einem Verächter]
állis írdisken gûotes: únte máchet
ín gîregan dés êuuegen rîchetûomes Will
140,4;
des wâren die prophêten giric KvWGS (G)
645;
sie [...] waren des strites
gierig Lanc
236,35;
nu half aber ime, daz er genas, / daz sîn Urgân sô
girec was Tr
16148.
6856;
sie waren sin gierig, wann er yrn herren darnyder
gestochen hett Lanc
241,4.
–
~
nâch:
er [...] was sô nîdic ûfe die / daz ein
grimmer lewe nie / sô giric was nâch einem vihe KvWEngelh
2749;
Claudas der was aber genöt und gyrig nach guͦt
allewege Lanc
26,14;
BdN
304,21.
–
~
ûf:
so was der heilige man / so girec uf gotes wort, / daz er den ewigen
hort / immer nuwen luten maz Pass I/II (HSW)
21679;
er izt auch ainen andern hecht, alsô gräuleich ist er
von nâtûr und sô girig auf den raup BdN
254,12.
150,6.
–
~
zuo:
er wer zornig worden und girig zu stryt
Lanc
57,29;
[die Waldratte] ist gar girig zuo apfelsaf
BdN
140,11
1.3
subst.:
ih giriger Litan
532
2
‘Begehren, Gier hervorrufend’
wil si sich denne huͤten
[...] vor der girigen suͤssekeit aller
irdenischer dingen, so mag si vollekomenlich minnen und got manig lob an allen
dingen gewinnen Mechth
6: 1,150
|